Der Turnverein von 1888 – 1919

von Alfred Schottdorf

Quelle: Festschrift “100 Jahre Turn- und Sportgemeinschaft 1888 Nieder-Erlenbach“

Der Turnverein Nieder-Erlenbach wurde am 1. April 1888 von 21 Mitgliedern gegründet; der Ort der Gründung soll eine Gaststätte in der Neuen Fahrt Nr. 7 gewesen sein. Gründungsmitglieder waren August Baumart, Fritz Baumart, Wilhelm Breusing, Georg Dressel, Konrad Hegenauer, A. Hoffmann, Johann Jann, Heinrich Lampert, Bernhard Laupus, Johann Libbach, Philipp Libbach, Georg Momberger, Johann Odemer, Georg Pfeffer, Fritz Pfeiffer, Heinrich Pfeiffer, A. Scherber, Balthasar Schneider, Heinrich Schöppner, Wilhelm Schuch und Georg Fritz Seip. Der Verein gehörte der Deutschen Turnerschaft an, er war im Main-Taunus-Gau und dieser im IX. Kreis Mittelrhein organisiert.Von den ersten Jahren wissen wir fast nichts, da ein Protokollbuch erst ab 1896 vorhanden ist. Am 28. Januar 1896 setzte sich der Vorstand wie folgt zusammen:

Johann Jann / Präsident

Ph. Schneider / 1. Schriftführer

G. Wolf 2. / Schriftführer

W. Kreutz / Kassierer

W. Michel / 1. Turnwart

J. Schuch / 2. Turnwart

J. Pfeil / Zeugwart

Der Nachfolger von Johann Jann als Präsident, der bis zum 30.6.1896 amtierte, wurde Johann Libbach bis Anfang 1898; dann folgte ihm bis zum Zusammenschluss mit dem “Sportverein 1906“ im Jahre 1919 Philipp Schneider. 

Die Mitgliederzahl betrug:

1896: 43

1907: 53

1915: 68

1919: 50

Vereinslokale waren hauptsächlich die Gasthäuser “Zum Darmstädter Hof (Joh. Libbach), “Zur Friedenslinde” (Johann Gustav Jann) und “Zur Reichskrone” (Frau Winkler Wwe.).

Im Jahre 1896 fand von Samstag, dem 27. Juni bis Montag, dem 29. Juni, das 20. Bundesfest des Main-Taunus-Bundes in Nieder-Erlenbach statt, Ausrichter war der hiesige Turnverein unter Beteiligung der Gesangvereine “Eintracht und Heiterkeit“ und des Kriegervereins. Als Programmpunkt war am Samstag um 21 Uhr ein Fackelzug vom Festplatz aus mit Böllerschießen vorgesehen. Der Friedensstein (an der Gabelung der Straßen Alt-Erlenbach und Zum Schäferköppel, heute auf dem Friedhof) wurde ein Kranz niedergelegt und H. Kötter hielt dort die Festrede. Am Sonntag früh um 5 Uhr weckte ein Spielmannszug die Festteilnehmer.

Um 11 Uhr begrüßte ein Empfangskomitee die auswärtigen Vereine an den drei Ortseingängen, um 13.30 Uhr erfolgte die Aufstellung des Festzuges und um 14 Uhr der Abmarsch. An dem Festzug nahmen auch etwa 30 ,,Festdamen”, die blaue Schärpen trugen, teil. Am Abend wurde ein Preisturnen durchgeführt mit folgenden Übungen: Reck, Barren und Schwingel (Seitpferd), Stabhoch, Stemmen und Weitsprung.

An der am 21. Juli 1896 stattfindenden Generalversammlung wurden neue Statuten beschlossen, die zusammen mit der Turnordnung, einem Verzeichnis der Vorstandsmitglieder und einem Mitgliederverzeichnis gedruckt wurden und erhalten geblieben sind. Der Vorstand setzte sich aus einem Sprecher (Präsidenten), einem Schriftführer, einem 1. Turnwart, einem Kassierer und einem Zeugwart zusammen. Turnstunden fanden Mittwochs um 20:30 Uhr und Samstags um 20:00 Uhr statt. Dazu finden sich folgende Beschlüsse im Protokollbuch: “Es müssen alle Mitglieder in der Turnstunde pünktlich erscheinen. Mitglieder, welche dreimal gestraft sind, werden aus dem Verein ausgeschlossen. Alle Mitglieder, die sich gegen den Turnwart unanständig betragen, werden mit 50 Pfennigen bestraft; jedes Mitglied, welches nicht in der Reihe steht, benimmt sich unanständig . . .”.

An Turngeräten waren 1896 vorhanden: 1 Reck, 1 Barren, 2 Sprungbretter, 2 Matten, 1 Sprungpferd, 1 Schwingel, 12 Stabhochstangen, 1 Stoßstein und 2 Hanteln.

Regelmäßige Veranstaltungen im Jahresverlauf waren Anturnen im Frühjahr (Turntag) und Abturnen im Herbst; z. B. fand am 17. Oktober 1909 das Abturnen um 14:00 Uhr in der Turnhalle statt. Dazu wurden Preisrichter teilweise von außerhalb eingeladen. Folgende Übungen und Wertungen wurden festgelegt:

Freiweit: Oberstufe 3,40 m – 0 Punkte; Oberstufe 5,40 m – 20 Punkte; Unterstufe 2,40 m – 0 Punkte; Unterstufe 4,40 m – 20 Punkte

II. Stemmen: Oberstufe 75 Pfund zweihändig, jedeHebung l Punkt; Unterstufe 50 Pfund zweihändig, jede Hebung l Punkt

III. Steinstoßen:Oberstufe 20 Pfund, 8 m – 20 Punkte; Unterstufe 10 Pfund, 8 m – 20 Punkte

ferner am Reck, Barren und Pferd je 3 Übungen für beide Stufen

Am jährlich stattfindenden Gauturntest nahm der Verein regelmäßig mit Wettkämpfern teil.

Als gesellige Veranstaltung wurde jährlich am 2. Osterfeiertag ein “Osterkränzchen” (Tanzveranstaltung) mit turnerischen Einlagen durchgeführt (z. B. 1911 Übungen am Barren, Turnübungen und Pyramiden). Der Eintritt betrug 1910 für Nichtmitglieder 30 Pfennige, das Tanzgeld 1 Mark; für Mitglieder war der Eintritt frei und das Tanzgeld betrug nur 50 Pfennige. In der Fastnachtszeit wurde mehrmals ein Maskenball veranstaltet (erstmals erwähnt 1904, als Bau 1896).

Im Jahre 1898 plante man die Anschaffung einer Vereinsfahne, wozu lt. Beschluß der Mitgliederversammlung jedes Mitglied 3 Mark “Reserven” einzahlen sollte. Im Jahr 1900 war es dann so weit: Es wurde eine Vereinsfahne für M 325.- angeschafft, die heute noch vorhanden ist. Bei der Fahnenweihe am 17. Juni 1900 wurde ein Festzug veranstaltet unter Beteiligung der beiden Gesangvereine und des Kriegervereins, von 28 Festdamen und 7 Festreitern. Für das Preisturnen wurden als Übungen Stabhoch, Freiweit, Stemmen und Steinstoßen festgelegt.

Im Jahre 1905 wird erstmalig erwähnt, dass der Verein sich am Feldbergfest beteiligen will: “Es wird beschlossen, am 24. Juni 1905 ev. am Feldbergfest mit Damen teilzunehmen. Abfahrt abends 8:00 Uhr nach der Spinnerei; von da weiter nach Wahl. Die Fahrt wird aus der Kasse bezahlt” (M 38,40).

Bereits 1896 wird ein “Tambour” erwähnt; 2 Trommeln waren damals vorhanden und der “Tambour” war beim Bundesfest 1896 in Aktion. Im Jahre 1906 wurde ein kleiner Spielmannszug bestehend aus 4 Pfeifern, 4 Trommlern und einem Tambourmajor gegründet. Die Musiker erhielten Abzeichen aus der Vereinskasse (“Schwalbennester mit silbernen Fransen” und Achselstücke). Übungsstunde war Sonntags von 14:00 bis 15:00 Uhr in der Turnhalle (1912).

Im Februar 1907 findet sich die erste Erwähnung eines geplanten Neubaus einer Turnhalle. Die Generalversammlung beschloß, dass ab 1.Januar 1907 jedes Mitglied pro Jahr M 4,80 bzw. pro Monat 40 Pfennige zu zahlen hat angesichts des Turnhallenneubaus. Ein vorläufiger Vertrag mit der bürgerlichen Gemeinde wurde mit 15 gegen 3 Stimmen genehmigt.

Die Generalversammlung am 30. Juni 1907 beschloß dann endgültig, daß die neue Turnhalle auf dem Schafberg errichtet werden sollte laut Abkommen mit der Gemeinde. Alle Mitglieder mußten sich durch ihre Unterschrift vor dem Gemeinderechner Stoll für den Bau der Turnhalle verpflichten.

Die bürgerliche Gemeinde stellte auf dem Schafberg an der Vilbeler Straße ein 794 m2 großes Grundstück für den Neubau unentgeltlich zur Verfügung; als Eigentümer wurden der Turnverein zu 5/6 und die bürgerliche Gemeinde zu 1/6 im Grundbuch eingetragen mit der Vormerkung des Rechts der Gemeinde Nieder-Erlenbach auf kostenlosen Rückfall der dem Turnverein Nieder-Erlenbach zugeschriebenen 5/6 im Falle der Auflösung des Turnvereins. Außerdem gewährte die bürgerliche Gemeinde zwei Darlehen in Höhe von insgesamt 5.100,- M zu einem Zinssatz von 4,2% dafür wurde eine Sicherungshypothek in Höhe von 5.100.- M nebst Zinsen auf den Anteil des Turnvereins an dem Bau-grundstück in das Grundbuch eingetragen.

Man erhält den Eindruck, dass der Neubau der Turnhalle eine Reaktion auf die 1906 erfolgte Gründung des Sportvereins ist, wobei die Sympathien von Bürgermeister W. Ullmann und von den Gemeinderäten ganz eindeutig dem Turnverein gehören. Bezeichnend für die Animositäten ist u. a. folgender Beschluss der Generalversammlung:

“Es wird beschlossen, das Gartenfest bzw. Stiftungsfest des hiesigen Sportvereins am 4. August 1907 nicht in Gemeinschaft teilzunehmen, sondern es soll jedem Mitglied freie Hand gelassen werden.”

Die ersten Aufträge für den Neubau wurden im Juni und September 1907 vergeben und am 6. Oktober 1907 erfolgte die Grundsteinlegung. Folgendes Programm war vorgesehen:

Bei Ankunft an der Turnhalle Verlesung der von dem Schriftführer F. Rüppel verfassten und auf Pergament geschriebenen Urkunde durch Fritz Baumart, sodann Siegelung der Flasche, welche die Urkunde enthält, Legung des Schlußsteines. Dann Rede des Herrn Pfarrers (3 Hammerschläge), Ansprache des Herrn Bürgermeisters (3 Hammerschläge), Rede des Herrn Roth, des Vertreters des Turngaus aus Frankfurt (3 Hammerschläge). Weitere Reihenfolge der Hammerschläge: Ph. Schneider, Präsident, Maurermeister H. Schneider, Fritz Baumart, F. Rüppel, Mich. Reichert, Joh. Michel, Ad. Michel, Jak. Schuch, G. Jann, L. Reichert, C. Wolf. – Darauf Musik und Gesang.”

BILD QUERSCHNITT

„Im Jahre des Heils 1907 am Sonntag, den 6. Oktober um 15:00 Uhr wurde der Grundstein zu dieser Turnhalle gelegt. Der Turnverein zu Nieder-Erlenbach wurde im Jahre 1888 gegründet und zwar durch folgende Mitglieder: Balthasar Schneider, Fritz Baumart, Joh. Jann, Aug. Baumart, Wilh. Schuch, J. Odemer, Joh. Libbach, B. Laupus, Fr. Pfeiffer, Hch. Lampert, Hch. Pfeifer, Gg. Dressel, Gg. Momberger, Gg. Pfeffer, Fr. Seip, Ph. Libbach und Hch. Schöppner (unvollständig). 

Der Verein hat in den ersten Jahren seines Bestehens mit vielen Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten, zu kämpfen gehabt, doch hat stets die gute, treue deutsche Turnersache den Sieg davongetragen und allen neidischen Feinden des jungen Vereins zum Trotz hat sich dieser emporgeschwungen zu einer nie geahnten Größe. Der Verein hatte eine stolze Anzahl Mitglieder zu verzeichnen, doch leider hat der unerbittliche Tod manche Lücke gerissen; viele unserer Turner wurden zu den Fahnen einberufen, um ihrem Vaterland zu dienen, um nach der Dienstzeit ihren eigenen Herd zu gründen und der Turnersache vor der Hand Valet zu sagen. Doch trotzdem und alledem ist immer ein fester und starker Stamm geblieben, der die Fahne unseres alten braven Vaters Jahn emporhebt, und nicht wankte und nicht wich. Eine große Anzahl dieser treuen wackeren Kämpfer steht heute noch in unseren Reihen und Wills Gott, sollen sie noch lange darin bleiben. 

Es gelang dem Verein während seines Bestehens ca. 50 Preise bestehend in Diplomen und Kränzen zu erringen. Unter den Mitgliedern des Vereins hat sich besonders unser heutiger Vorturner & Turnwart Joh. Michel hervorgetan, er allein errang 26 Preise, darunter einen 4.ten auf dem Turnfest in Harheim im Jahre 1901. 

Es zeugt dieses von dem echten turnerischen Geist, welcher in unserem Verein herrscht Heute nun 21 Jahre nach der Gründung des Vereins, ist es diesem mit hochherziger Hülfe der Gemeinde Nieder-Erlenbach gelungen, eine eigene Turnhalle zu bauen unter der Aegide unseres verehrten Herrn Bürgermeisters Ullmann und der verehrten Herrn Gemeinderäte. Der Verein zählt heute ca. 60 Mitglieder, Aktive & passive, und steht unter der Leitung des Vorstandes, welcher heute am Tage der Grundsteinlegung aus folgenden Turnern bestand:

I. Präsident: Ph. Schneider; II. Präsident: Mich. Reichert; Schriftführer: F. Rüppel; Kassierer: Ad. Michel; I. Turnwart: J. Michel; II. Turnwart: H. Kiel; Zeugwart: L. Reichert II.

Möge die Turnhalle ein Zeugnis ablegen von der Tatkraft ihrer Erbauer, von der Eintracht der Gemeinde Nieder-Erlenbachs und ihren Vertretern zu dem Turnverein, der jetzigen Generation zum Vorbild, den späteren Geschlechtern zur Nacheiferung! Das walte Gott. N. E., d. 6. 10. 07.“

Namen des Bürgermeisters & der Gemeinderäthe

Namen des Vorstands des Turnvereins

Namen sämtlicher Mitglieder.

Der Vorstand beschloss, daß der Steinmetz Götzinger in Bonames einen Gedächtnisstein mit folgender Aufschrift herstellen sollte: “Turnhalle des Turnvereins zu Nieder-Erlenbach. Erbaut 1907.” Dieser Stein wurde über dem Eingang der Turnhalle außen angebracht und bei der Niederlegung der Turnhalle sichergestellt.

Die Baukosten für die Turnhalle setzten sich wie folgt zusammen:

Mauerarbeiten Heinrich Schneider III N.-E. M 2.718,-

Zimmerarbeiten Joh. Lester VII N.-E. M 751,-

Weißbinderarbeiten Philipp Kinkel N.-E. M 300,-

Schreinerarbeiten Adolf Michel N.-E. M 844,-

Fenster und Türen Abbruchunternehmen FFM M 180,-

Spengelerarbeiten Johannes Pfeil N.-E. M 98,-

Schlosser- und Schmiedarbeiten Karl Wolf N.-E. M157,-

Kleinere Nebenkosten M 264,-

Verschaffungsgeld (Disagio, Damnum) M 128,-

Gesamt M 5.440,-


So mußten vom Turnverein direkt nur 340,- Mark in bar aufgebracht werden. Eine Unterstützung für den Turnhallenbaufonds erhielt der Verein auf Antrag von der Dr. Götz’schen Stiftung im Jahre 1909 in Höhe von 300,- Mark

Wegen der beantragten Eintragung des Vereins im Vereinsregister wurden die Statuten geändert und am 16. April 1908 in der Generalversammlung einstimmig gebilligt Man erweiterte den Vorstand gegenüber den Statuten von 1896 um einen 2. Präsidenten und um einen 2. Turnwart Die Eintragung in das Vereinsregister beim Großherzoglichen Amtsgericht Vilbel erfolgte am 19. Mai 1908. Da die neue Turnhalle auch ein Kolleg umfaßte, mußte sich der Vorstand Gedanken um Lieferung und Ausschank von Getränken machen. Der Ausschank wurde offensichtlich von den Mitgliedern selbst organisiert.